Mittwoch, 28. September 2016
Eigenkultur-Schock
Ich war aus dem Südkaukasus zurückgekehrt.

Ich fand so vieles in Deutschland unerträglich. Und besonders die Angst war mir unerträglich. Ihre Angst, die Stelle zu verlieren. Sich dafür auf Arbeit zu schleppen. Obwohl sie krank sind. Oder schon lange nicht mehr können. Ihre Angst vor dem Chef. Ihre Angst vor den Kollegen. Ihre Angst vor allem. Alles brav ertragend.

Ich wurde unerträglich, denn ich es sagte es ihnen. Ich sprach zu ihnen, zu ihrer Angst. Mit den falschen Worten. Denn gefangen waren sie in ihrer Angst. Trotz des Lebens in einem der reichsten Länder der Erde. Welcher Reichtum?

Ein halbes Jahr dauerte es. Fachterminus unter Anthropologen und Experten der interkulturellen Kommunikation: Eigenkultur-Schock.

Einmal schrie mich einer an: »Dann geh doch zurück!«

Aus Gründen ergab sich dies nicht.

Im Südkaukasus – Armut auf dem Land, Hochgebirge, schlechte medizinische Versorgung, subtropische Früchte, Frauenhass, Alphabete, im November am Schwarzen Meer sommerliche Gefühle, der Sohn als kleiner Prinz, Langsamkeit, Umweltverschmutzung, Ruinen, თონის პური, heiße Quellen, …

Irgendwann war das halbe Jahr vorüber und ich wieder akkulturiert.

Ihre Angst starre ich verständnisvoll an. Rede mit neuen Worten zu ihnen.

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